Rückblick Tagung Generationen übergreifende Zusammenarbeit 2021
Use it or loose it
Tagung der Kerngruppe 60plus und der Gruppe Junger SBK zum Thema „Generationen übergreifende Zusammenarbeit“ mit dem Ziel, dass
ausgebildete Pflegefachpersonen in der Pflege bleiben, um die Pflegequalität hoch zu halten.
Die Tagung fand am Montag, 8. November 2021, von 14.00 – 18.00 Uhr, im Inselspital, Hörsaal Langhans, statt. 51 Personen aus allen Altersgruppen und vorwiegend Personen aus dem Pflegebereich waren anwesend. Für die Teilnahme galt die Zertifikationspflicht.
Zusammenfassung
Die Teilnehmerin, Frau Rita Willener, sagt im Anschluss an die Tagung:
Mit dieser Tagung „Generationen übergreifende Zusammenarbeit“ wird ein relevantes Thema aufgegriffen. Es ist eine Tatsache, dass 40% der Pflegefachpersonen ihren gelernten Beruf frühzeitig verlassen; ebenso ist Realität, dass wir in Zukunft gegen 30 Lebensjahre in Rente erwarten dürfen. An der Tagung wird diskutiert, wie das Potential der Pflegefachpersonen länger genutzt werden kann, sei es im Berufs- oder Pensionsalter. Die Teilnehmenden erhalten von den Referentinnen und Referenten, welche mehrere Generationen darstellten, diesbezüglich verschiedene Ideen und Lösungsansätze präsentiert. Es zeigt sich, dass aus heutiger Sicht unkonventionelle und individuelle Wege sowie Umdenken von Arbeitgebern wie Arbeitnehmenden nötig sein werden.
Welche Impulse stecken hinter diesem Statement? Und welche umzusetzenden Ideen könnten die Zusammenarbeit verbessern und damit auch zum Erhalt von Mitarbeitenden beitragen? Dazu eine ultrakurze Antwort: Umdenken, alte Denkmuster ändern, Neuem Platz schaffen, unkonventionelle und individuelle Wege beschreiten – dies seitens der Arbeitnehmenden und Arbeitgeber!
Frau Manuela Kocher, Präsidentin SBK Sektion Bern und Frau Elisabeth Vogt, Leiterin Kerngruppe 60plus und Tagesmoderatorin, begrüssten die Teilnehmenden. Sie verbanden das heutige Tagungsthema mit der 2017 durchgeführten Umfrage bei den SBK-Mitgliedern der Sektion Bern zu „Bereitschaft zur Weiterbeschäftigung der Pflegenden nach der Pensionierung“, den 2019 durchgeführten Arbeitgebertreffen im Kanton Bern sowie dem aktuell laufenden Abstimmungskampagne zur Pflegeinitiative.
Auszüge aus den Referaten
Bei diesem Bericht handelt es sich um eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte und Botschaften der Referate.
Referat von Frau Elisabeth Michel-Alder, Sozialwissenschaftlerin und Mitgründerin Netzwerk „Silberfuchs“
Kooperationen zwischen den Generationen
- Wir werden älter und bleiben länger jung; 60 sind die neuen 50. Mit der gedehnten Lebensspanne verlängert sich die Erwerbstätigkeit. Es entsteht Raum für mehrere Laufbahnwechsel. Für die Zusammenarbeit ist nicht das Alter wichtig, sondern die erworbenen Fach- und Sozialkompetenzen. Lebenslanges Lernen ist gefragt und das eben auch mit 35, 70. Wichtiger als der Jahrgang ist die Bereitschaft, Situationen immer wieder zu reflektieren, bilanzieren und Konsequenzen daraus zu ziehen. Es gilt, die Sache selber an die Hand zu nehmen und sein Potential und die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Wichtig dazu ist die Frage, was ich von meinem Beruf erwarte und ob diese Erwartungen im Einklang mit meinem inneren Kompass stehen. Fällt die Antwort negativ aus, ist der Abgang einzuleiten. – Viele Pflegefachpersonen, welche den Beruf frühzeitig verlassen, wechseln in eine andere Sparte des Gesundheitswesens (z.B. Beratung, Massage, alternative Therapien), was sich wiederum positiv auswirkt.
- Die Struktur der Lebensbiographie hat sich komplett verändert. Früher war es der traditionelle Dreiklang: Ausbildung – Erwerbsarbeit – Ruhestand. Heute: Bildung – Arbeit – Ruhe – Freiwilligenarbeit, und das mehrmals wiederholend. Es wird dabei von der Mosaik-Laufbahn gesprochen. Der Dreiklang von früher engt ein und bewirkt um 40 eine gefährliche Stagnation.
- Die Forschung kippt Altersbilder: Man altert so, wie man es von sich erwartet (Ursula Staudinger). Use it or loose it; das Gehirn bleibt plastisch und lernt (Lutz Jäncke). An Grenzen gehen ist medizinisch empfohlen. Gesund und happy sind in der Gesellschaft integrierte, geforderte und geschätzte ü75 ohne Verarmungsangst.
- Der persönliche Charakter ist mit 30 oder 40 noch keineswegs gefestigt. Menschen entwickeln ihre Persönlichkeit bis zum Lebensende weiter. Z.B. die BIG FIVE: Umgänglichkeit, Zuverlässigkeit, emotionale Stabilität, Extraversion und Offenheit für Erfahrungen.
- Das Gesundheitswesen benötigt andere Rahmenbedingungen: Mosaik–Laufbahnmodelle; Konzepte für die 2. Hälfte Berufsweg; Selbständige, gemischte Teams; Interprofessionelle Teams.
Nötig sind Möglichkeiten von internen Jobwechseln, auch spezifische Weiterbildungen wie Qualifizierungsmodule für Umstiege, Jobs /Arbeitsbündel für Erfahrene (Hospital at Home, Extraprozesse, Angehörigenbetreuung, Beschwerdewesen, Qualität u.a.m.). Die Reduktion von fachfernen Aufgaben gehört ebenfalls zur Verbesserung der Rahmenbedingungen.
Referat von Frau Marianne von Dach Nicolay, MSc Organization Development
Berufliche Identitäten – Ressourcen nutzen für die Arbeitsorganisation
- Die nächsten 5 bis 10 Jahre bringen eine grosse Pensionierungswelle mit sich. 10 – 30 % aller Mitarbeitenden inkl. Führungskräfte sind neu zu ersetzen. Sehr viel bewährtes Fachwissen und Berufserfahrung gehen verloren. Die Zahl der Jugendlichen, die ins Erwerbsleben einsteigen und im Beruf bleiben, wird weiter sinken. Konzepte zur Bewältigung dieser Situation fehlen.
- Vier Generationen mit unterschiedlichen beruflichen Identitäten prägen die Arbeitswelt:
Babyboomers 1946 – 1964: Leben um zu arbeiten
Generation X 1965 – 1980: Arbeiten um zu leben
Generation Y 1980 – 1994: Arbeit und Leben verbinden
Generation Z ab 1995: Arbeit als Teil des Lebens - Diese beruflichen Identitäten gilt es in Arbeitsteams zu mischen, um die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft aller zu erhalten. Gefragt ist agile Leadership mit selbstorganisierten Teams an Stelle von hierarchischer Führung. Opferrollen, in dem Mitarbeitende die Verantwortung nur „oben“ sehen, sind einzustellen. An diese Stelle tritt die Mitverantwortung für die Betriebsergebnisse. Beim Fördern/Erhalten von Mitarbeitenden sind standardisierte Wege zu verlassen. Im Zentrum steht das Suchen von Aufgaben, welche auf das Potential des/der Mitarbeitenden passen. Dies sind Elemente von Personalentwicklungs- und Personalmanagementkonzepten, die in vielen Organisationen noch fehlen.
- Die heutige Arbeitswelt ist von 4 Hauptmerkmalen geprägt: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz. Daraus ergibt sich der Begriff VUKA. Die Bewältigung von VUKA bedeutet für die Führung: Volatilität = Verlässlich sein in hoher Veränderungsdynamik, Unsicherheit = Vertrauenswürdig sein in unsicheren Situationen, Komplexität = Direkt sein in komplexen Situationen und Ambivalenz = Verständlich sein bei unklarer Faktenlage.
Referat von Frau Heidi Vogel, Pflegefachfrau und Pflegeexpertin und Herr Michael Aeschbacher, Pflegefachmann HF und Leiter Gruppe junger SBK Sektion Bern
Erfahrungsberichte von 5 Patient*innen resp. Bewohner*innen und ihnen selber als Pflegefachpersonen
Die Patient*innen resp. Bewohner*innen stellen folgende Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Pflegefachpersonen fest:
Jüngere:
- Neueres Fachwissen
- Weniger praktische Erfahrung
- Stellen sich schneller auf Veränderungen ein
- Umgang ist legerer, unkomplizierter
- Halten sich an die Pflege-Vorgaben
- Sind neuen Techniken gegenüber aufgeschlossener
Ältere:
- Viel praktische Erfahrung
- Legen mehr Wert auf pflegefremde Arbeiten
- Zeigen mehr Empathie
- Angehörigenarbeit wichtiger
- Kreativer bei der Pflegegestaltung
- Weniger offen für Neues, mehr Handeln nach Routine
- Fragen nach dem Befinden: werde ernst genommen
- Suchen gemeinsam mit den betroffenen Personen nach Lösungen
- Wollen mehr „helfen“, meinen es zu gut
- Wirken sicherer, trauen sich mehr zu
- Können besser zu Eigenleistungen motivieren
Was ist den beiden Pflegefachperson wichtig?
Frau Vogel antwortet aus der Perspektive einer älteren Pflegefachperson. Ihr ist wichtig, dass
- der Pflegeberuf attraktiv bleibt
- es vielfältige Möglichkeiten für Weiterbildungen gibt
- keine weiteren Stellen abgebaut werden
- Attraktive, familienfreundliche Arbeitszeiten angeboten werden
Herr Aeschbacher antwortet aus der Perspektive des jungen Pflegefachmanns. Ihm ist wichtig, dass
- die Frage geklärt wird, weshalb so viele Junge den Beruf verlassen.
- Ich mir bewusst bin, weshalb ich diesen Beruf liebe und was mich hält.
- das Potenzial zur Veränderung bekannt ist und
- Was zu tun ist, um den Pflegeberuf attraktiv zu halten.
Beide Pflegefachpersonen sprechen sich explizit für die Zusammensetzung von Generationen übergreifenden Teams aus, damit die Stärken der Generationen aufeinander treffen und für die Pflege genutzt werden.
Referat von Herr Tibor Kiss, Gründer & Inhaber @Schubkraft
Unterschiedliche Arbeitsweisen zwischen Jungen und Älteren, zwischen den Generationen
Spontan macht Herr Kiss das Angebot, Herrn Aeschbacher eine Antwort auf seine Frage „Weshalb so viele junge Pflegefachpersonen den Beruf frühzeitig verlassen“ zu geben. Die Tages-Moderatorin gibt ihm – nach Rückfrage der Interessenlage bei den Teilnehmenden - die Möglichkeit dazu.
Er nimmt dabei das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeitspsychologie auf. Nach diesem Modell existieren fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit und jeder Mensch lässt sich schwerpunktmässig auf folgender Skala einordnen:
- Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit),
- Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus),
- Extraversion (Geselligkeit; Extravertiertheit),
- Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie) und
- Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit).
Herr Kiss vermutet, dass bei den Pflegefachpersonen generell der Faktor „Verträglichkeit“ ausgeprägt vorhanden ist und deshalb in der Vergangenheit allzuviel Zeit verstrichen ist, für die berechtigten Anliegen der Pflege zu kämpfen. Dies wird diesen Herbst auf der politischen Bühne mit der Abstimmung zur Pflegeinitiative nachgeholt. Dieser Kampf muss von den Pflegenden selber wahrgenommen werden; der Gesellschaft fehlt das genügend hohe Interesse, für die Probleme der Pflege zu kämpfen, obschon es schliesslich alle betrifft.
Zum Schluss geht Herr Kiss doch noch auf die unterschiedlichen Arbeitsweisen zwischen den Generationen ein. Alle mit Handy werden gebeten, denselben Text mittels Tastatur einzugeben. Während die Jungen dazu die beiden Daumen benützen schreiben die Älteren mit einem Zeigefinger. Resultat: die Älteren schauen, was die Geschwindigkeit anbelangt, mit Schmunzeln und Gelächter hinten drein.
Verabschiedung
Diese erfolgte durch die Moderatorin mit einem herzlichen Dankeschön an alle und speziell an die Referierenden und mit dem Hinweis, dass die Kerngruppe 60plus und die Gruppe junger SBK nächstes Jahr wieder eine gemeinsame Tagung veranstalten werden.
Bern, 11. November 2021 Elisabeth Vogt
Grundlagen zu diesem Bericht sind:
- PPP der Referierenden
- Protokoll von Frau Marianna Iff
- Gesprächsnotizen von Herrn Fred Burri